STRATEGIE - der Vorentwicklung Ziele geben.
Die reine Existenz einer Vorentwicklung reicht nicht aus, um das Innovationspotenzial eines Unternehmens auszuschöpfen. Die Strategie muss einen klaren Fokus haben und auf die strategischen Ziele des Gesamtunternehmens abgestimmt sein. Mit der Vorentwicklungsstrategie trifft man sehr langfristige und schwer korrigierbare Entscheidungen für die Zukunft des Unternehmens. Oft ist das Verhältnis aus kurz-, mittel- und langfristigen Vorentwicklungsprojekten nicht ausbalanciert. Enthält die Pipeline zum Beispiel zu viele kurzfristige Projekte, zehrt das Unternehmen von den Ergebnissen der Vergangenheit. Die Folge ist ein geringer Output an Innovationen. Enthält die Pipeline dagegen einen überproportional hohen Anteil an langfristigen Projekten, bekommt das Klischee von der Entwicklung im Elfenbeinturm Nahrung. Lässt man die internen Empfänger zu lange auf Ergebnisse warten, besteht sogar die Gefahr, dass Vorentwicklungseinheiten aufgelöst werden. Strategiearbeit beginnt damit, dass eine in die Zukunft extrapolierte Umsatzkurve zu einem negativen Wendepunkt kommt und man sich die Frage stellt: Mit welchen neuen Produkten setzen wir das Wachstum fort oder steigern es? Es entsteht die sogenannte "strategische Lücke". Dann beginnt man Kernkompetenzen zu formulieren sowie die relevanten Markttendenzen zu durchsuchen. Beide Blickrichtungen kann man sich wie Lichtkegel aus zwei Leuchtquellen vorstellen. Aus den Überschneidungen von den beiden Lichtkegelflächen ergibt sich eine Fläche mit doppelter "Erhellung": das sogenannte Suchfeld. Es definiert sich als Fläche, die den zwei Kriterien Kernkompetenz und Markttendenz entspricht. Wenn man diese Suchfelder mit präzisen "Wort-Formeln" belegt, dann bekommen sie eine Energie, die auf andere Mitarbeiter im Unternehmen übertragen werden kann. Sehr gut durchdachte Wortformeln regen die Mitarbeiter zu Produktideen an und geben ihnen gleichzeitig die Leitplanken für die strategische Ausrichtung. Sie sind das richtige Maß aus Freiraum und Fokussierung.
Wie viel Invest in Vorentwicklung ist sinnvoll?
Entscheidet sich ein Unternehmen für den Aufbau einer Vorentwicklung, steht am Anfang die Frage, wie viel Vorentwicklung es sich leisten will. Unsere Benchmarking-Ergebnisse zeigen, dass es Mindestgrenzen gibt, unterhalb derer die Ziele der Vorentwicklung nicht erreicht werden können. So hat sich gezeigt, dass ein Vorentwicklungsbudget von unter fünf Prozent - gemessen am gesamten F&E-Budget - die in der Regel gesetzten Erwartungen nicht erfüllen kann und damit unterkritisch ist. Ein Wert oberhalb von fünfzehn Prozent kann phasenweise - jedoch nicht dauerhaft - sinnvoll sein, weil man das Gesamtbudget der Entwicklung betrachten muss. Ein überproportional hoher Anteil an der Vorentwicklung würde der Serienentwicklung zu viele Ressourcen entziehen, sodass sie überhaupt nicht in der Lage wäre, die vielen Ideen serienreif umzusetzen. Ein Wert zwischen fünf und fünfzehn Prozent, im Mittel zehn Prozent des gesamten F&E-Budgets, hat sich als sinnvoll herausgestellt.
PROZESS - Wann startet und wann endet die Vorentwicklung?
Die Vorentwicklung überprüft die technologische Machbarkeit von neuen Produktideen und inwieweit Forschungsergebnisse für die Technologiestrategie des eigenen Unternehmens relevant und übersetzbar sind. In der Prozesskette ist sie daher zwischen Forschung und Serien-/Marktentwicklung anzusiedeln. Während die Forschung als Ergebnis haben darf, dass etwas nicht funktioniert, darf die industrielle Vorentwicklung dies nicht. Die Vorentwicklung endet, wenn die Planbarkeit der Serienentwicklung erreicht ist. Wenn der Reifegrad erreicht ist, auf den Ergebnissen eines Funktionsmusters innerhalb der "üblichen" zwei Jahre eine Serienentwicklung realisieren und das Produkt zur Marktreife bringen zu können, ist die Vorentwicklung abgeschlossen. Diese Form von Planbarkeit, gemessen an Zeit- und Kostenzielen, ist das Ergebnis einer Vorentwicklung. Die Vorentwicklung hat die Aufgabe, das Risiko der Serienentwicklung zu reduzieren, indem sie Ergebnisse liefert, auf denen die Serienentwicklung aufbauen kann. Verfehlt die Vorentwicklung dieses Ziel, hat das zur Folge, dass die Serienentwickler vom Produktentwicklungsbeginn bis zur Serienreife nicht nur ein serienreifes Produkt entwickeln, sondern auch noch deren Machbarkeit prüfen müssen - was in der Regel nicht zu leisten ist. Im schlimmsten Fall muss die Serienentwicklung noch weitere Entwicklungszeit anhängen - wertvolle Zeit, in denen Mitbewerber Marktanteile aufbauen oder bereits auf andere, neuere Technologien setzen. Auch die Antwort auf kurze Serienentwicklungszeiten bedingt durch immer kürzere Produktlebenszeiten lautet somit: Vorentwicklung zahlt sich aus!
PROJEKTMANAGEMENT - Wie viel davon braucht die Vorentwicklung?
Umfangreiche Projektcontrolling-Tools mit Q/K/T-Kennzahlen-Cockpits, große Projektteams mit Fulltime-Projektleitern und generalstabsmäßiger Projektberichtserstattung wirken auf den klassischen Vorentwickler abschreckend. Mit dem Killerargument "Überbürokratisierung und Technikfokus" wird oft das krasse Gegenteil kultiviert: Vorentwickler als Einzelkämpfer in Forschungslaborumgebung tüfteln mit wolkigen Projektzielen ohne Projektplan. Hier wird Freiraum missverstanden! Eine kleine Änderung kann Wunder bewirken: Man teilt die gleiche Zahl an Parallelprojekten auf jeweils ein Tandem bestehend aus einem Projektleiter und einem Projektpartner - anstatt auf Einzelkämpfer - auf. Quasi über Kreuz, sodass jeder einmal in die eine und die andere Rolle kommt.
Der Effekt ist oft erstaunlich und gründet auf drei Wirkprinzipien:
- Wenn man gezwungen ist, sich auszutauschen und dabei Fragen zu formulieren, kommt man dadurch bereits zur Lösung.
- Zwei-Mann-Teams entwickeln automatisch sportlichen Wettbewerb: Das wird direkt am Engagement sichtbar.
- Der Austausch von Argumenten und der Streit um die beste Lösung schaffen Projektfortschritt und setzen Energien für Anerkennung, Erfolgsgefühle und Arbeitsbefriedigung frei.
STRUKTUR - Vorentwicklung als getrennte organisatorische Einheit?
Wie wird die Vorentwicklung in die Organisation eingebunden? Hier bieten sich zwei Alternativen an: zentral als eigene Abteilung oder projektbezogen als Teilaufgabe der Serienentwicklung. Bei der dezentralen Organisation wird die gesamte Vorentwicklung auf die Serienentwickler verteilt, die dann einen gewissen Anteil von deren Arbeitszeit ausmacht. Serienentwickler können direkter feststellen, welche Vorentwicklungsinhalte ihnen fehlen, wo das Risiko zu hoch oder eine Standardisierung sinnvoll wäre. Das sogenannte Not Invented Here Syndrome (NIH) kann erst gar nicht auftreten. Großer Nachteil: In der Praxis hat diese Organisationsform selten bis nie funktioniert! Die Serienentwicklung gerät zum Ende der Markteinführung oft unter Termindruck und dann wird als Erstes auf den "Puffer" der Vorentwicklung zurückgegriffen. Eine bewusst oder unbewusst mit "Priorität Zwei" versehene Vorentwicklungskapazität fällt im Engpassfall als Erstes unter den Tisch - und welche Serienentwicklung hat schon keine Engpässe? Um eine Kontinuität in der Vorentwicklung zu gewährleisten und auch um sich selbst gegen diesen Missbrauch zu schützen, hilft nur eins: Die Vorentwicklung von der Serienentwicklung organisatorisch trennen! Die Vorentwicklung ist im zentralen Modell eine eigene Organisationseinheit mit einem Vorentwicklungsleiter, der die Verantwortung für die Mitarbeiter und die Ergebnisse trägt und vor Übergriffen schützt. Der Effekt dieser Vorgehensweise ist in der Regel messbar: Der Umsatzanteil mit neuen Produkten innerhalb der letzten zwei Jahre seit Markteinführung, die sogenannte Innovationsrate, ist bei Unternehmen, die diese Trennung vollzogen haben, deutlich höher als bei Unternehmen ohne eigene Vorentwicklung. Die Herausforderung bei dieser Organisationsform besteht darin, die Schnittstelle zwischen Vor- und Serienentwicklung so zu gestalten, dass ein reibungsloser Übergang gesichert wird. Ein Problem kann das bereits angesprochene NIH darstellen: Seine Ursache kann in der gefühlten und vielleicht auch gelebten unterschiedlichen Wertigkeit der Ergebnisbeiträge der beiden Funktionen liegen.
Das Durchlauferhitzer-Prinzip
Einer der wirksamsten Ansätze, um einen problemlosen Übergang in der Prozesskette zu gewährleisten, ist das sogenannte "Durchlauferhitzer-Prinzip". Hierbei existieren keine vollständig getrennten Mitarbeitereinheiten oder separate Karrierepfade. Lediglich ein Teil von 30 bis 50 Prozent der Vorentwickler stellen die Stammmannschaft dar und der restliche Teil durchläuft die Vorentwicklungsprojekte vom Projektanfang bis zum Übergang zur Serienentwicklung. Aufgabe der Stammmannschaft ist hierbei, die Vorentwicklungsstrategie zu definieren und Rahmenbedingen für die neuen Vorentwickler hinsichtlich Methoden, Tools und der Prozesse vorzugeben. Die Gefahr dieser Personalstrategie besteht darin, dass sich die "jungen Wilden" mit vollem Engagement an Dingen festbeißen, die nicht zur Strategie des Unternehmens passen, oder unnötig neue Abläufe erfinden. Unternehmen, die dieses Prinzip institutionalisieren, sind gerade für High Potentials aus der Forschung als Arbeitgeber äußerst attraktiv, da diese ihr aufgebautes Wissen unter industriellen Bedingungen anwenden können. Die Option, das eigene Wissen über ein Muster, einen Prototyp in ein serienreifes Produkt umzusetzen, bieten nur wenige Firmen und ist ein hoher Anreiz für viele hochkarätige Bewerber. Gleichzeitig können Entwickler und deren Vorgesetzte die Stärken besser einschätzen, wenn die Mitarbeiter sowohl die Vor- als auch die Serienentwicklung durchlaufen haben. Nach Ende des Durchlaufs lässt sich besser entscheiden, ob der Mitarbeiter eher ein Vor- oder Serienentwickler ist oder er den gesamten Prozess noch einmal durchlaufen will.